Stellungnahme
des ÖBVP, Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie:
'Wer schweigt macht sich mitschuldig! Zum Fall Zogaj - unmenschliche
Asylgesetze' Link zu Stellungnahme des
ÖBVP
Unterstützungserklärung
Kriege wie im Kosovo oder Tschetschenien hinterlassen Traumata bei allen
Betroffenen. Kinder sind davon noch weitaus stärker betroffen als Erwachsene.
Eine Behandlung und Therapie dieser seelischen Wunden ist mindestens genauso
wichtig wie die Heilung von körperlichen Verletzungen. Einige Kinder dieser
Familien erhalten in den aks Kinderdiensten dringend benötigte Therapien, um
das Erlebte langsam verarbeiten zu können.
Die andauernde Unsicherheit und die drohenden Abschiebung dieser Familien
aus dem Kosovo, Tschetschenien, Georgien und anderen Ländern erschwert einen
erfolgreichen Therapieverlauf und führt bei Eltern und Kindern oftmals zu
erneuten Traumatisierungen. Aus therapeutischer Sicht gefährdet eine
Abschiebung dieser kriegsgeschädigten Familien die Entwicklung und das
Wohlbefinden der Kinder entscheidend.
Deshalb unterstützen wir das Engagement der Schrunserinnen und Schrunser
für den Verbleib dieser Familien in Vorarlberg.
aks Sozialmedizin GmbH
Respekt und Anerkennung äußerte der Sozial- und
Politikwissenschaftler Dr. Kurt Greussing für die Initiative der „Schrunser
Plattform“ bei der Veranstaltung „Ein besessener Vorarlberger“ im Heimatmuseum
Schruns am 18.5.09. Nach wie vor sei
gültig, was er nach der Kritik von Sicherheitsdirektor Dr. Marent an einer
Äußerung von Bürgemeister Bahl in einem VOL-Interview gesagt habe:
Kurt
Greussing
RESPEKT FÜR BAHL
Auf VOL
Live-Anfrage hat sich auch der Sozialwissenschaftler Kurt Greussing zur
aktuellen Debatte geäußert. Bahl habe nicht die gegenwärtige Vollzugspraxis
gegenüber Asylanten mit den Verbrechen des Dritten Reiches gleichgesetzt. Was
er gesagt hat, sei ganz einfach:
„Die Erfahrungen
der Nazi-Zeit sollten uns gelehrt haben, dass man Gesetze nicht blind
vollziehen darf, sondern dass man immer auch die Schicksale der betroffenen
Menschen im Auge haben muss. Diese Folgerung haben übrigens, gerade in
Deutschland nach 1945, vor allem die großen christlichen Kirchen gezogen. Und
Bahl zieht sie auch - dafür gebühren ihm Dankbarkeit und Respekt", so
Greussing.
NS-Ideologie
heute
Bundschuh und
Greussing verweisen in diesem Zusammenhang auf das nationalsozialistische
Gedankengut, welches nach 1945 nicht einfach verschwunden ist. Dabei handelt es
sich um Mentalitäten, die überlebt haben und weitergetragen werden. „Die
Ausgrenzung von Fremden ist ein Element der NS-Ideologie", so Bundschuh,
der am Bundesgymnasium Dornbirn Geschichte lehrt. Ihm zufolge habe dies bei uns
in den letzten Jahren sogar zugenommen.
Gesetzliche
Verankerung
Verschärfungen
des Asyl- und Fremdenrechts sind letztlich die Folgen dieser Stimmung und
Ausdruck unserer Grundhaltungen. Bundschuh, der auch Vorsitzender der Johann
Malin-Gesellschaft ist, spricht dabei von einer „Abschottungspolitik, die auch
mit Hilfe von Gesetzen vollzogen wird."
Der Geist des
Dritten Reiches in unserer Gegenwart
Teilen sie uns Ihre Ansicht mit. Schreiben Sie uns
bitte.
Maria Rodewald
ASYLGESETZE
- GERECHTIGKEIT?
Sicherheitsdirektor Marent kritisiert den Appell des Schrunser Bürgermeisters,
die Asylgesetze kritisch zu betrachten. Dr. Marents Aussagen lassen sich widerlegen:
„Österreichische Rechtsordnung ist
europakonform!“
Das
heißt nicht, dass sie auch menschenrechtskonform ist!
Österreich
kann sich unzuständig erklären und Flüchtlinge können in mehrere Staaten
zurückgeschoben werden, bis ins Herkunftsland. Die unterschiedlichen
Bedingungen und jahrelangen Verzögerungen bedeuten unfaire Asylverfahren.
Flüchtlinge werden ohne Einverständnis verschoben und zunehmend in Schubhaft
genommen - Familien getrennt. Schubhaftbedingungen sind schlechter als
Strafhaftbedingungen. Besonders
dramatisch sind diese Verfahren für Minderjährige. Bei Schnellverfahren wird ohne entsprechende
Prüfung abgeschlossen - ohne Einfluss der Asylwerber.
„Es gibt mehre Instanzen über
Entscheidungen der Fremdenpolizei!“
Im
Zuge der Verschärfung der Asylgesetze wurden drei Instanzen im Asylverfahren
auf zwei reduziert. Echten Flüchtlingen wird damit der Flüchtlingsstatus vorenthalten. Denn bei ca. einem Fünftel
der negativen Bescheide erhielten die Flüchtlinge in der dritten Instanz den
Asylstatus. Der europäische Gerichtshof ist wegen der langen Bearbeitungsdauer
unrealistisch. Viele Flüchtlinge haben zudem keinen Kontakt zu Rechtsberatung.
Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit werden in Frage gestellt.
Das
Asylgesetz wird gegen Menschen verwendet. Das beweisen die tausenden Kinder,
Frauen, Männer, die an den Grenzen Europas sterben. Menschen, die vor Terror,
Folter und fehlenden Lebensgrundlagen fliehen! Menschen, die unsere Hilfe
brauchen!
Teilen sie uns Ihre Ansicht mit. Schreiben Sie uns
bitte.
László
Gyarmathy
Mag. Laszlo Gyarmathy ist
seit vielen Jahren als Psychologe bei den Kinderdiensten des Vorarlberger aks
(Arbeitskreis für Vorsorge- und Sozialmedizin) beschäftigt. Er betreut Kinder und Familien mit den verschiedensten
Problemen. In den letzten Jahren hat er auch öfters mit Flüchtlingskindern und deren
Familien therapeutisch gearbeitet. Er hat uns seine Erfahrungen aus dem Therapiealltag und eine Stellungnahme als Psychologe
zur Verfügung gestellt. Wie er sagt, will er
in der aktuellen befremdenden Situation nicht tatenlos zusehen und schweigen.
Durch intensive und längere
Begleitung von Flüchtlingskindern ist mir ein tieferer Einblick in das
Seelenleben dieser traumatisierten Menschen ermöglicht worden.
Erst nach längerer Zeit in
der vertraulichen therapeutischen Beziehung wird allmählich das wahre Ausmaß
des stillen Leidens sichtbar. In den Alltagsituationen bleibt der innere Kampf
dieser Menschen vor anderen großteils verborgen, weil die Psyche des
Betroffenen die schmerzhaften und destabilisierenden Erinnerungen mit allen
Kräften verdrängt und abspaltet, und weil die Kinder ihre Verzweiflung und Traurigkeit aktiv verstecken und
überspielen.
Es ist mir ein Anliegen die Aufmerksamkeit auf eine
besondere Problematik zu lenken, auf die spezifische Destruktivität des langen,
verzögerten Asylverfahrens bei traumatisierten Menschen.
Dabei behaupte ich, dass die
Auswirkungen dieser speziellen Art von zukunftslosem Status, auf das
Krankheitsbild „Posttraumatische
Belastungsstörung“ bezogen, besonders schädlich sind. Man kann sogar über einen
durch das Verfahren zusätzlich zugefügtes Leid, über Chronifizierung und Vertiefung der Symptomatik, über einen -
in medizinischen Sinn iatrogenen - Schaden reden.
Bedrohung der psychischen Integrität
Vor kurzem gewann das Thema
der drohenden Ausweisung von seit Jahren in Ungewissheit lebenden, gut integrierten Familien eine schockierende
Aktualität. Diese kritische Situation
bedroht die von uns betreuten kleinen Therapiepatienten und viele andere
unschuldige Kinder in ihrer psychischen
Integrität.
Aus psychologischer Sicht kann
solche Vorgangsweise direkt einen psychisch zerstörerischen Akt, eine effektive
neue Traumatisierung darstellen. Den Kindern, die aufgrund des hier geweckten
Vertrauens und der hier erlebten Zugehörigkeit eine fundierte Identität
entwickelt haben, könnten ihre gesamten bisherigen Anpassungsleistungen und
ihre Zukunft durch eine Willkürhandlung genommen werden.
Dramatik der Schicksale wird nicht
wahrgenommen
Die Kinder, die wir betreuen
sind traumatisierte Kinder mit
verschiedenen Varianten der Symptomatik der Posttraumatischen Belastungsstörung
in mittelschwerer Ausprägung. (PSBT)
Diese Kinder leben aktuell
in zunehmend steigender Angst vor der Abschiebung. Sie waren seitens der
Politik vorübergehend geduldet, aber bisher gibt es kein Anzeichen dafür, dass
die Dramatik ihrer Schicksale und sie selbst in ihrer wahren
Persönlichkeit mit allen Konsequenzen
wirklich wahrgenommen werden.
Psychodynamik und Asylverfahren
Bevor ich auf die
Zusammenhänge von Psychodynamik und Asylverfahren eingehe, möchte ich einige
Bemerkungen als Anhaltspunkte für die Beurteilung der Lage dieser Menschen
vorschicken.
Vorurteile nicht bestätigt
Erkenntnisse aus der
klinischen Erfahrung durch längere Beobachtung und Beziehungsarbeit stehen in
krassen Kontrast zu den
vorurteilsvollen Einstellungen, zu den illegalisierenden, kriminalisierenden Argumentationen gegen diese soziale
Gruppe.
Rechtlicher Status und
behördliche Vorgangsweisen
widersprechen nicht nur den Kriterien der Menschlichkeit sondern der
medizinischen Logik und therapeutischen Anstrengungen.
Die geltende Praxis trägt
aktiv zur Fixierung und sogar Verschlechterung der durch tiefe Traumatisierung
entstandenen Krankheit bei.
Die oftmals gleichgültig zu nennende, bzw. ahnungslose Einstellung gegenüber den
geplanten Ausweisungen, sowie die politischen Wunschphantasien über „sicher
gewordenen Herkunftsländer“ erweisen sich als völlig absurd.
Leid, das niemand vortäuschen kann
In der Petition der
„Schrunser Plattform“ wird betont, dass niemand von diesen Flüchtlingen das
Ursprungsland freiwillig verlassen habe. Dies kann damit ergänzt werden,
dass niemand sich diese seelische
Zerrüttetheit und diese psychisch als auch körperlich extrem belastende
Symptome wünschen würde. In der Langzeittherapie wird eine Art von Leid
ersichtlich, direkt und indirekt bestätigt, welches niemand so vortäuschen
kann.
Häufigkeit der posttraumatischen
Belastungsstörungen
Die Dunkelziffer ist mit großer Wahrscheinlichkeit sehr hoch.
Eine deutsche Studie hat gezeigt, dass die Erkennungsrate durch geschulte
Beamten allgemein niedrig liegt und die Trefferquote dem Zufallsprinzip entspricht.
Auch die Gefahr, dass die Krankheit
später in den Asylheimen trotz Betreuung auch nicht erkannt wird, ist groß. Die
Betroffenen empfinden die
Schwierigkeiten und Krankheitssymptome
als Schwäche, welche ihre Bleibe- und Integrationschance reduzieren
könnte und versuchen diese eher zu verbergen als zu zeigen.
Die Vermutung liegt sehr
nahe, dass nur einem kleinen Teil der Betroffenen die notwendige Therapie
zuteil wird. Es liegt in der Natur der
Belastungsstörung, dass schmerzvolle
Gefühle und auch die quälenden Symptome durch Dissoziation abgespaltet und
nicht als solche wahrgenommen werden.
Bei Kindern ist die
Erkennung aus mehreren Gründen deutlich schwieriger.
Die Kinder stehen von Anfang
an nicht im Focus der Beurteilung und können auch nicht gut als
Informationsquelle für die Befragung gebraucht werden.
Sie können ihre diffusen
Beschwerden noch schlechter als die Erwachsenen identifizieren und verbalisieren, sie können die vom Unbehagen
durch die Orientierungs- und Anpassungsschwierigkeiten in der neuen, fremden Umgebung kaum differenzieren.
Auf der anderen Seite können
Kinder durch ihre Plastizität ihrer Not
besser „vergessen“ und überspielen. Sie haben eine natürliche
Zukunftsorientierung und Sehnsucht nach neuen gesunden sozialen Beziehungen und
konzentrieren sich unbewusst mehr auf die Anpassung im Hier und Jetzt.
Albträume
Untersuchungen zeigen, dass
40 % der Asylwerber definitiv unter Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) leiden.
Diese Statistik wurde nach strengen Beurteilungs-Kriterien
erstellt.
.
Immer mehr kommen Signale
aus der Praxis, dass das Beurteilungs-Schema allzu rigide sei. Dadurch erhalten
viele Bedürftige keine Therapie und
auch die Statistik wird verzerrt. Es gibt vielfach Betroffene, bei denen
nicht alle Symptomkriterien erfüllt sind, aber die psychische Dynamik typisch
ist. Bei der Beurteilung sollten relevante Aspekte und das Gesamtbild ausschlaggebend sein.
Nach meiner Erfahrung ist es
darüber hinaus äußerst wichtig zu betonen, dass der Großteil der Personen ohne
Diagnose ebenfalls von den Folgen der Traumatisierung schwer gekennzeichnet ist
und deren Leidensdruck sehr groß ist.
Selber musste ich auch die
Erfahrung machen, dass bei einigen
Kindern die sogenannten spontanen Einbrüche von traumatischen
Gewalterinnerungen zuerst „nur“ in Form von ständigen Albträumen und erst nach
langer Zeit auch tagsüber (Intrusionen)
auftraten, oft erst nach langer Zeit zugegeben werden. Solche Erfahrungen bestätigen, wie sehr, neben einigen
offensichtlichen Symptomen, die latente und seelisch zermürbende Krankheitsdynamik den eigentlichen Kern der
Belastungsstörung darstellt.
Traumatische Erfahrungen der Kinder
Sie haben existentielle Bedrohung und
Grausamkeiten erlebt, einige wurden selbst direkt seelischer und körperlicher
Gewalt ausgesetzt, die meisten haben Erniedrigung, Folterung von ihren Eltern
miterlebt. Bei allen Familien brach das Leben völlig zusammen, die bisherige
Verhaltensregeln und Überlebensstrategien galten nicht mehr.
Die Eltern mussten zu einem zutiefst
dramatischen Schluss kommen und ihre vertraute soziale Umgebung verlassen.
Einige mussten, um das Schlimmste zu verhindern, von einem Tag auf den anderen
flüchten. Sie hofften ihr Leben retten zu können und wenigstens für ihre Kinder
die Chance eines menschenwürdigen Lebens zu bekommen.
Meistens stellte die
Traumatisierung einen exzessiven Höhepunkt eines länger anhaltenden
eskalierenden Prozesses dar, während der die Familie ihre Grundsicherheit immer
mehr verlor. Oft bedeutete die Flucht selbst eine äußerst gefährliche Episode voller
Verzweiflung, extremer psychischer Herausforderung für Erwachsene und
Kinder.
Nach der Registrierung als
Asylsuchende erschien die Erlösung noch lange nicht in Sicht. Trotz Grundversorgung und der Chance, am Rande
einer fremden, aber friedlichen Gesellschaft leben zu dürfen, bestimmt weiterhin
die grundsätzliche Ungewissheit und Angst vor einem erneuten Zusammenbruch der
Lebenslinie das Lebensgefühl.
Ein Getto mit unsichtbaren Zäunen
Die Kinder haben bei den
traumatischen Ereignissen erlebt, dass nicht nur sie, sondern auch ihre Eltern
vollständig wehrlos waren und nicht mehr in der Lage sie, ihre Kinder zu
beschützen.
Die Kinder erleben hier,
dass sie paradoxerweise mehr als ihre Eltern adäquate gesellschaftliche Rechte
haben und Rollen ausleben dürfen. Sie erleben Mutter und Vater in eine
gesellschaftlich inkompetente Rolle gezwungen und in vielen Hinsichten entrechtet.
Die Möglichkeit für sich und
für ihre Familie zu sorgen, ihre Zukunft zu beeinflussen ist ihnen effektiv genommen. Sie leben auf
freiem Fuß in einem Getto mit unsichtbaren Zäunen und haben in ihrem
Bewusstsein eine Rückfahrtkarte mit „geheimem“ Ablaufdatum in eine Welt, die
für sie zur Hölle geworden ist.
Diese Menschen sind schwer
traumatisiert. Sie würden, um aus der Lähmung auszubrechen zu können und aus
dem Schock zu erwachen, alles andere
brauchen als dieses erzwungene Dahinvegetieren,
Es grenz an ein Wunder, dass
sie es trotzdem nicht aufgeben, sich freundlich um Anpassung zu bemühen. Für ihre Kinder versuchen sie alles zu tun.
Je länger diese Phase
anhält, desto mehr wird dieser Zustand zur absurden „Normalität“ und stellt
nicht mehr eine nur vorübergehende Krisenphase dar.
Die Kinder kennen mit der
Zeit die Eltern nur noch so und vergessen immer mehr, dass sie irgendwann auch
stark, kompetent waren und ihnen mit Selbstvertrauen Orientierung und Halt
geben konnten.
Überforderte Psyche
Ich beziehe mich hier gerne
auf die auf den Beitrag von Herrn Kizilhan aus Hannover, da seine Auffassung
und Interpretation meiner Erfahrungen vollkommen entspricht. (Siehe: http://www.michael-balint-klinik.de/pdf/ptsd_begutachtung.pdf
)
Traumata entstehen durch extrem bedrohliche Erlebnisse, welche die Abwehrmechanismen der Psyche maßlos überfordern. Durch den
Zusammenbruch der höheren mentalen Kontrollfunktionen überflutet eine
gewaltige Energie das neuronale
System und verursacht eine Reihe
von funktionellen Störungen. Als letzter Schutz werden niedrige Mechanismen und
regressive Verhaltensprogramme aktiviert, um die destruktive Einwirkung
aufzufangen.
In diesem
„Ausnahmezustand“ des psychischen
Apparats ist eine differenzierte und adäquate Informationsverarbeitung nicht mehr möglich. Das Einordnen von Reizen
und das Reagieren werden von niedrigen neuronalen Zentren bestimmt.
Diese neuropsychische Notlösung kann im Moment die
Seele retten, fordert später aber großen Tribut. Durch eine Art von
„Kurzschluss“ bleiben die primitiven Abwehrmechanismen hartnäckig aktiv, halten den Organismus chronisch
im Alarmzustand und fixieren die
Grundhaltung auf das traumatische Erlebnis.
Die ersten Aufgaben der
Trauma-Therapie bestehen darin eine neue Vertrauensgrundlage zu schaffen und zu
etablieren, Selbstvertrauen keimen zu
lassen. Die Empfindung von primärer
Kompetenz muss durch reale
Selbsterfahrung wiederbelebt werden.
Eine Voraussetzung für eine
mögliche Gesundung und Weiterentwicklung ist das Gefühl, dass die Vergangenheit
klar abgeschlossen und der Ort des Schreckens in sicherer Entfernung ist.
Auf dieser Basis ist es
möglich zu dem Erleben von vitaler Erschütterung Schritt für Schritt Zugang zu
finden, anzufangen sie aufzuarbeiten und zu integrieren.
Re-Traumatisierung durch Asylverfahren
Die Reihenfolge der Schritte
des Genesungsprozesses ist effektiv nicht zu ändern.
Die absurd langen
Asylverfahren verzögert die
Grundsteinlegung eines Genesungsprozesses und erzeugt sekundär weitere
Funktionsstörungen.
Einige Aspekte der
Asylverfahren wirken direkt re-traumatisierend. Unsensible Befragungen und
Anschuldigungen reißen tiefe Wunden auf. Einige behördliche Aktionen
wiederholen in mehr oder weniger abgeschwächter Form Traumatisierungen, reaktivieren Erinnerungen an Einschüchterung
und Willkür im Herkunftsland.
Es gibt eine große und destruktive Resonanz zwischen der
Krankheitsdynamik der posttraumatischen Belastungsstörung und einem jahrelangen
„stehenden“ Asylverfahren. Die zwangsläufige
Untätigkeit, Unsicherheit bezüglich der Zukunft trifft genau den kranken Punkt
und hält den neurobiologischen Teufelskreis aus Überreizung, Vermeidung und
unkontrollierbaren Erinnerungen an das
Trauma aufrecht.
Kinder: besondere Gefährdung -
besondere Chancen
Der Umfang der seelischen
Zerstörung, der psychischen, vegetativen und
psychosomatischen Symptomatik hängt von einer Kombination vieler
Variablen ab.
(Alter des Kindes,
Entwicklungsstadium der psychische Strukturen, Grundpersönlichkeit, die
tatsächliche Brutalität der Ereignisse, Reaktion der Eltern in der Situation, psychische
Verfassung der Eltern in der Folgezeit, Wiederholung ähnlicher Erfahrungen,
Stress während der Flucht und die Belastungsfaktoren in der Migration,
etc.etc.)
Bei den traumatisierten
Flüchtlingskindern ist der Verlauf der Symptomatik in einigen Punkten anders
als bei Erwachsenen.
Wir erleben bei ihnen eine
erstaunliche und bewundernswerte Anpassungsleistung. Sie zeigen am Anfang oft
Schüchternheit und Gehemmtheit, sind
aber freundlich und kontaktfähig, erweisen sich bald als angenehme Schulkameraden, Kollegen und Schüler in
verschiedenen sozialen Rollen.
All dies erfolgt nicht auf
einer Basis von optimalen Bedingungen, sondern trotz der grundlegenden kulturellen Umstellung, der
unbekannten Sprache und trotz der
belastenden und beeinträchtigenden
Pathodynamik.
Erinnerungen rauben Lebensenergie
Im Hintergrund ist das
Trauma allerdings noch immer aktiv. Die Vermeidung, das Fernhalten von in der
Seele eingebrannten grausamen Erinnerungen raubt enorm viel Lebensenergie.
Trotzdem bricht der Schreck immer wieder ins
Bewusstsein ein. Die Konzentration schwankt. Tiefe Traurigkeit
überwältigen sie. Schlafstörungen, Alpträume suchen sie immer wieder heim.
Die Kinder sind viel
zerbrechlicher und durch ihre unreifen psychischen Abwehrmechanismen gegenüber
Grausamkeiten deutlich ausgelieferter als Erwachsene.
Sie
sind aber plastischer und manchmal resistenter.
Sie sind weniger von zuvor
Gewohntem, Erlerntem bestimmt, hängen nicht so an erlebten Rollen, Kompetenzen
und kulturellen Umständen.
Viele Kinder verbrachten
einen größeren Teil ihres Lebens schon in Vorarlberg, die Zweisprachigkeit ist
für sie selbstverständlich und nur diese Kultur kennen sie als ihre eigene.
Sie entfalten ihre
existentielle Grundkompetenz, Selbständigkeit erst hier, ihre Identität ist viel weniger mit ihrem Ursprungland
verknüpft als mit ihrer Lebensbewältigung
im Asyl. Ihre Existenzgeschichte ist
hier verankert.
Kinder tragen erdrückende Verantwortung
In der Persönlichkeit der
Flüchtlingskinder mischen sich drei Rollen und die dazugehörigen psychischen
Funktionen und Bewusstseinzustände.
Keine zumutbaren Perspektiven im Ursprungsland
Nach unbegründbar langer
Verzögerung und Vernachlässigung signalisiert die Politik nun die Absicht, über die Zukunft dieser
Menschen rasch eine Entscheidung zu treffen.
Die neuen bleiberechtlichen
Bestimmungen bringen für einige betroffene Familie wenigstens eine Teillösung. Dagegen
kann Familien, die nach Mai 2004 in Österreich um Asyl ansuchten, eine baldige Ausweisung
oder Abschiebung drohen.
Eltern und deren Kinder, die
seit drei, vier Jahren hier leben, sind verzweifelt. Sie konnten ihre
Zukunftsperspektive nur in der Asylanerkennung sehen, weil sie Informationen
haben, dass in ihrem Herkunftsland noch
auf lange Zeit keine Hoffnung auf einen Neuanfang zu einem menschenwürdigen
Leben besteht.
Für die traumatisierten und
unter der Belastungsstörung noch immer leidenden Menschen sind es unzumutbare
Perspektiven, wenn sie unfreiwillig und
unvorbereitet in ein Land zurückkehren müssen, in welchem sie die schlimmsten
Ereignisse ihres Lebens erlitten haben.
Ist eine Genesung in einer
Umgebung vorstellbar, auch wenn die Säuberungen offiziell eingestellt sind,
aber amnestierte Folterer und Mörder als Bürger im Nachbardorf leben?
Dramatische Weichenstellung
Die Weichen für
Schicksale werden gestellt. Die Zukunftschancen klaffen extrem auseinander.
Ausweisung:
Eine
erneute Entwurzelung und Unterbrechung der Lebenslinie, Entzug der Gültigkeit
des allmählich neu aufgebauten Lebensmodells dieser integrationswilligen
Menschen.
Für
die Kinder ist mit einem Schlag rückwirkend die Anpassungsleistung der gesamten Jahre zunichte gemacht. Der Sinn,
der adaptive Wert ihrer Gedanken und Handlungen geht verloren.
Anerkennung als Flüchtling::
Diese
vertriebenen Kinder und ihre Familien könnten aufatmen und sich endlich
irgendwo wirklich angekommen fühlen. Sie könnten die Zeit der Traumata
endgültig abschließen und einen Genesungsprozess beginnen.
Diese Kinder stellen für die
Gesellschaft eine Bereicherung dar.
Sie waren trotz ihrer
schweren seelischen Last zu einer bewundernswerten Entwicklung fähig. Sie haben
damit einen gesunden Lebenswillen, Kreativität und Bereitschaft gezeigt, einen
konstruktiven Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten.
Zusammenfassung
In den Alltagssituationen
bleibt das wahre Ausmaß des Leidens von Flüchtlingskindern großteils verborgen.
Die schmerzenden und destabilisierenden Erinnerungen werden verdrängt und
abgespaltet. Verzweiflung und Traurigkeit müssen überspielt und versteckt
werden.
Die Dunkelziffer, was
posttraumatische Belastungsstörungen anbetrifft, ist hoch. Das Erkennen der
krankmachenden Störung ist bei Kindern aus mehreren Gründen noch deutlich
schwieriger.
Auch Personen ohne Diagnose
haben hohen Leidensdruck und sind von den Folgen schwer gezeichnet. Plötzlich
schreckhaft eintretende traumatische Gewalt-Erinnerungen sind Kennzeichen einer
seelisch zermürbenden Krankheitsdynamik. Albträume, tiefe Traurigkeit,
Schlafstörungen rauben Lebensenergie.
Kinder und Erwachsene leben
in einer ständigen Angst vor einer Abschiebung. Trotz Grundversorgung und der
Chance, am Rande einer fremden, aber friedlichen Gesellschaft leben zu dürfen,
bestimmen Ungewissheit und die Angst in eine Welt zurückkehren zu müssen, die
ihnen zur Hölle wurde, das Lebensgefühl.
Eine Voraussetzung für eine
Gesundung und Weiterentwicklung ist die gefühlte Gewissheit, dass die
Vergangenheit klar abgeschlossen und der Ort des Schreckens in sicherer
Entfernung ist. Die Länge der Asylverfahren, unsensible Befragungen,
Einschüchterungen und Anschuldigungen reißen die tiefen Wunden immer wieder auf
und wirken re-traumatisierend.
Flüchtlingskindern werden
oft erdrückende Verantwortungen aufgeladen. Obwohl sie selbst unter der
Entwurzelung, unter den Schwierigkeiten der Umstellung und ihrer Einsamkeit
leiden, müssen sie Kompetenzen der Erwachsenen übernehmen. Sie werden im
Schulalter zu Dolmetschern für ihre Eltern, versuchen Überblick zu halten und
Entscheidungen zu treffen. Sie versuchen aber auch Kind zu sein und verlorene
Kindheit nachzuholen.
Kommt es zur Ausweisung
bedeutet dies für intergrationswillige Eltern und Kinder die Wiederholung einer
schmerzhaften Entwurzelung, einen gewaltsam und kaum verkraftbaren Entzug eines
neu aufgebauten Lebensmodells.
Dürfen sie bleiben, dann
können diese Vertriebenen erstmals aufatmen, aufleben und das Gefühl
entwickeln, angekommen zu sein. Sie können die Zeit der Traumata endgültig
abschließen und der Genesungsprozess kann beginnen. Dank ihres Lebenswillens
trotz schwerer seelischer Last, ihrer Kreativität und ihrer Bereitschaft, sich
in die Gemeinschaft einzubringen, werden sie für die Gesellschaft zu einer
Bereicherung.
Mag. Gyarmathy László
13.IV.2009
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bitte.
STELLUNGNAHME
VON BÜRGERMEISTER DR.ERWIN BAHL ZUM BRIEF DES SICHERHEITSDIREKTORS
Im Radio Vorarlberg wurde gestern Abend die Situation Bleiberecht
diskutiert.
In meiner Stellungnahme habe ich darauf verwiesen, dass es für mich
untragbar ist, integrierte Familien mit Kindern, die bereits mehrere Jahre in
Österreich leben, einfach abzuschieben.
Konkret gibt es Fälle, in denen Kinder im Alter von wenigen Monaten
einen Bescheid bekommen, dass sie das Land verlassen müssen. Es wurden in der
letzten Zeit sogar Kinder in Schubhaft genommen (nicht in Vorarlberg).
Es geht hier um Familien mit Klein- und Schulkindern, die vollkommen
integriert sind, Dialekt sprechen, den Kindergarten oder eine Schule besuchen
und die sich überhaupt nichts zu schulden kommen lassen haben. Die Kinder
wurden zum Teil in Österreich geboren und kennen ihre „frühere Heimat“
überhaupt nicht. Sie erfreuen sich einer gelebten Freundschaft der Bevölkerung
von Schruns und des Montafons.
Pfarrer, Pädagogen, Ärzte und viele Persönlichkeiten darunter die Mutter
des Kardinals Schönborn setzen sich für diese Kinder ein.
Diesen Kindern kann auch nicht vorgeworfen werden, dass die Prüfung des
Asylrechts so viele Jahre benötigt.
Im Zusammenhang mit der Vollziehung von Gesetzen vertrete ich die
persönliche Meinung, dass auch Gesetze hinterfragt werden dürfen. Es gibt ja
auch in Österreich immer wieder
Gesetze, die Menschenrechte verletzen, Ungleichheit schaffen und deshalb vom
Verfassungsgerichtshof sogar deshalb aufgehoben werden.
Konkret hat ja der Verfassungsgerichtshof im Fall des humanitären
Bleiberechts ausgesprochen, dass Betroffenen ein Antragsrecht zukommen muss. In
diesem Zusammenhang kann man nicht wie der Gesetzgeber das tut, einfach eine
Zeitlinie von 5 Jahren einziehen. Auch Familien, die 4 Jahre in Österreich
leben, können die Kriterien eines humanitären Aufenthaltsrechts erfüllen.
Mit meiner Kritik ziele ich vor allem auf den Passus „Gesetze
vollziehen“.
Auch Gesetze können Menschenrechte verletzen; die Geschichte hat es
mehr- und zigfach bewiesen. Auch ist Österreich immer wieder Ziel von Kritik.
So hat der Menschenrechtsbeirat die Verfassungswidrigkeit des
österreichischen Fremdenrechts angeprangert. Es widerspreche der Europäischen
Menschenrechtskonvention! Ich sehe deshalb den Handlungsbedarf beim Gesetzgeber
und vor allem bei der Innenministerin.
Bundespräsident Fischer und der Präsident des Verfassungsgerichtshofes
Korinek schlagen hier in dieselbe Kerbe.
Hier den Stehsatz zu hören „Gesetze sind zu vollziehen“, kann von mir
nicht nachvollzogen werden. Unrecht bleibt Unrecht und es gibt zudem ein Recht
höherer Ordnung, nämlich das Menschenrecht.
Menschenrechtsbeirat: Fremdenrecht in
Österreich verfassungswidrig
Bericht des Menschenrechtsbeirats:
Gesetze verstossen gegen die Menschenrechte, BMI dementiert dies, weiterhin
viel Kritik der NGOs, dass das Fremdenrecht dringendst reformiert werden muss.
Das Fremdenrecht entspricht nicht der Europäischen
Menschenrechtskonvention, ist damit verfassungswidrig und soll geändert werden.
Zu diesem Schluss kam der unabhängige Menschenrechtsbeirat im Innenministerium,
wie das Ö1-"Morgenjournal" am Montag berichtete. Eine eigene
Arbeitsgruppe des Beirates hatte die Vollziehung des Fremdenrechtes geprüft und
dabei schwere Mängel festgestellt.
Es
ist aus meiner Sicht Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie wir mit
Menschen umgehen. Die Bürgerinitiative aus Schruns setzt sich deshalb vehement
für diese Familien ein!
Dr Erwin Bahl
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Schrunser Plattform „Wir brauchen diese Kinder“ info@wir-brauchen-diese-kinder.at