Und dann feiern wir ein Fest….

Schrunser Plattform <Wir-brauchen-diese-Kinder>

 

Im Spätherbst vor zehn Jahren sind die ersten gebracht worden. Sie wussten nicht wo sie sind, was sie diesmal erwartet. Für die meisten ist es nicht die erste Station. Das Flüchtlingshaus Maria Rast ist besser als alle in denen sie vorher mit ihren Kindern untergebracht waren. Und dann dies: „Es ist einer meiner glücklichsten Tage gewesen, als viele Schrunser mit dem Bürgermeister nach Maria Rast gekommen sind – weil sie uns Flüchtlinge kennen lernen wollten! Diesen Tag werde ich nie vergessen!“

 

Nirgendwo sonst hatte es Deutschunterricht gegeben. Nirgendwo sonst hatte man erlaubt, den Bewohnern des Ortes bei der Gartenarbeit, im Haus zu helfen – und damit in Kontakt mit Einheimischen zu kommen. Die wichtigsten Worte zur Verständigung sind bald gelernt. Die Nachbarin im Bauernhof nebenan setzt die Kinder auch einmal aufs Pferd, lässt sie beim Kühefüttern helfen und dankt ihnen mit Süßmost.

Einige haben das „erste Interview“, eine Einvernahme beim Bundesasylamt, schon hinter sich. Der harte Verhör-Ton hat sie erschreckt bis verstört. Alle teilen den Eindruck, dass ihnen nichts geglaubt wird.

 

Die Kinder besuchen Kindergarten, Schulen. Sprechen bald Deutsch, verstehen den Dialekt. Dolmetschen für ihre Eltern. Erste negative Bescheide auf das Ansuchen um Asyl machen mutlos. Betreuer beruhigen: Die Beamten des BAA lehnen fast alle ab. Die nächste Instanz, die Richter, die seien entscheidend. Bei der Berufung helfen die Rechtsberater der Caritas. Wieder beginnt ein langes angstvolles Warten. Schwer zu ertragen: „Wenn man nicht arbeiten darf, sind diese Gedanken nicht zu verscheuchen: Was soll aus meinen Kindern werden? Kann ich sie noch beschützen?“

 

Bis das Gericht entscheidet, dauert es. Wochen, Monate werden zu Jahren. Wenn dann die Bescheide kommen, sind sie fünfzig, bis zu hundert Seiten stark. Juristendeutsch. Die letzte Seite ist zu verstehen: Abgelehnt. Nach dem zweiten „Negativ“, sagen die Betreuer, könnten sie auch nichts mehr machen. Leider.

 

Verantwortung übernehmen

Zu lange haben die Behörden bis zur Entscheidung gebraucht. Kinder wurden hier geboren. Die Mitgebrachten sind schon hineingewachsen in die neue Gemeinschaft, haben Freunde gefunden, sprechen die gemeinsame Sprache. Schule und Sportvereine haben dazu beigetragen, dass sie sich zugehörig fühlen. Die vielen freundschaftlichen Begegnungen haben den Eltern das Gefühl geschenkt, aufgenommen zu sein; die Hoffnung gestärkt, hier eine neue Heimat zu finden. Obwohl die Angst, wieder abgewiesen zu werden, immer dabei ist.

 

Es war Zeit Verantwortung zu übernehmen. Als von einem Tag auf den anderen durch einen Richterspruch aus hilfesuchenden Flüchtlingen „Illegale“ wurden, als Neugeborene Ausweisungsbescheide zugestellt bekamen, als alle in der Klasse mitweinten, weil die beliebte Mitschülerin abgeschoben werden sollte, das sagten Einheimische: Nein!

 

Auf die Menschenrechte berufen sich die Lehrerinnen und Pädagogen, die Ärzte und die in Sozialberufen Tätigen, Vereinsobleute und Gemeindepolitiker, Pfarrer, Eltern, die sich für ihre eigenen Kinder ein anderes Beispiel im Umgang mit Menschen in Not wünschen. Sie alle wollen ein Zeichen setzen, dieses „Kann-man-nichts-machen“ nicht ohnmächtig hinnehmen, Sie beziehen sich auf das Subsidiaritäts-Prinzip und bieten an, beim Lösen von Problemen vor Ort zu helfen.

 

Dorf mit großem Herz

Vor allem aber nehmen sie ihre Verantwortung für die Kinder ernst, verweisen auf die Verpflichtung den auch von Österreich unterschriebenen universellen Kinderrechten gegenüber: Jedes Kind hat ein angeborenes Recht auf Leben, Überleben und auf bestmögliche Entwicklungschancen.                      (UN-Kinderrechtskonvention – Art. 6). Der ORF berichtet. Ein Flüchtlingsvater spricht von diesem „Dorf mit großem Herz“. Das wird zum Titel eines Films, der österreichweit angeschaut wird.

 

Viele Gespräche mit den zuständigen Landespolitikern, mit den verantwortlichen Beamtinnen im Landhaus, mit der Sicherheitsdirektion und den Fremdenpolizisten in der BH folgen.  Die Angst der Flüchtlinge wird kleiner, denn niemand geht mehr unbegleitet zu einer Behörde. Diese Begegnungen führen aber auch zu einer konstruktiven Gesprächsbasis, getragen von gegenseitigem Respekt und Vertrauen.

 

In den vielen - oft geänderten - gesetzlichen Bestimmungen zu Asyl und Fremdenrecht ist auch ein <Humanitäres Bleiberecht> vorgesehen. Ein kaum angewandtes Recht. Auf dieses berufen sich die Plattform-Vertreter. Die aufkeimende Hoffnung, vielleicht doch noch eine neue Chance zu bekommen, lässt auch die Flüchtlingseltern Herausforderungen annehmen. In staatlich kontrollierten Prüfungen müssen sie beweisen, dass sie Deutsch nicht nur gut sprechen, sondern in dieser Sprache auch Lesen und Schreiben können. Besonders schwer für jene, die erst hier mit den völlig anderen Buchstaben unserer Schrift Bekanntschaft machen.

 

Licht ins Dunkel

Im Netz der Bürgerinitiative helfen viele mit, Wohnungen und Arbeitsplätze zu finden. Bestätigen den hohen Integrationsgrad. Fehlende Dokumente und deren Übersetzungen, Echtheitsbescheinigungen werden besorgt. Kosten und Gebühren werden von der Plattform – dank Spenden – übernommen. (Dass Flüchtlingsfamilien durch den Verkauf ihrer Kuchen beim Silbriga-Sonntig-Markt tausend Euro für <Licht ins Dunkel> erwirtschaften, ist eine wunderschöne Antwort des Dankes für das Licht, das in ihr Leben kam.)

 

Irgendwann in diesen fünf Jahren ist bei den Flüchtlingen und bei den Engagierten der Plattform eine Idee, ein Wunschtraum aufgetaucht: Wenn alle Familien ein Bleiberecht bekommen haben, - dann feiern wir ein Fest.

 

Als am 27. Dezember 2014 sechs Kinder und zwei Elternpaare ihre „Eintrittskarten“ in die neue Heimat, die Bestätigung, dass sie bleiben dürfen, abholen – gerade noch rechtzeitig, bevor wieder einmal mit einer Gesetzesänderung die Zuständigkeit wechselt und an eine zentralistische Behörde des Innenministeriums übergeht – da ist es Zeit für eine Zwischenbilanz. Vierunddreißig Kindern (dreizehn davon sind nicht im Land der Eltern geboren) und fünfundzwanzig Müttern und Vätern ist dank des Einsatzes der Plattform das Recht auf Bleiben zuerkannt worden.

 

Auf den Tag genau – schöner Zufall - fünf Jahre nachdem die Bürgerinitiative mit ihrem Anliegen an die Öffentlichkeit gegangen ist, wird gefeiert. Der Gemeindearzt und seine Frau haben das Fest organisiert. Haben eine Musikgruppe eingeladen, die – gratis! – aufspielt. Eingeladen sind selbstverständlich die Flüchtlingsfamilien, die ihrerseits Essen nach Rezepten ihrer Herkunftsländer mitbringen. Unten unterhält ein Zauberer die Kinder, oben werden Reden gehalten. Der Landesrat,  seine wichtigste Mitarbeiterin, der Caritasdirektor mit den Zuständigen für die Flüchtlingshilfe, Tschaggunser und Schrunser Bürgermeister - mit seinem Vorgänger, der stellvertretende Sicherheitsdirektor, viele engagierte Mitbürger, die sich an unterschiedlichen Orten und zu verschiedenen Zeiten für das Anliegen eingesetzt haben, sie alle wissen,

bekommen es in den Redebeiträgen bestätigt, dass hier im Montafon etwas Besonderes passiert ist. Zeigen ihre Freude, dass Menschlichkeit und Menschenrechte einen Sieg gefeiert haben.

 

Zwei Jugendliche, die als Flüchtlingskinder ins Tal kamen, bekommen großen Applaus für ihre in Montafoner Mundart vorgetragenen Lebensweisheiten. Mit schlichten, von Herzen kommenden Worten bedanken sich zu Mitbürgern gewordene Flüchtlinge bei allen für ihren Einsatz und ihre Hilfe. Eine Hilfe, durch die sich, wie eine Mutter sagt, „das Leben um hundertachtzig Grad zum Guten gewendet hat“. Das Netz, das sie getragen hat, soll sich nicht auflösen, ist ein Wunsch, der ausgesprochen wird. Die Beziehungen sollen weiter gepflegt werden. Zum gegenseitigen Gewinn, denn – so steht es im Integrationsleitbild des Landes: „Vorarlberg wurde und wird durch Zuwanderung reicher an Mehrsprachigkeit, Wissen, besonderen Fertigkeiten, Ideen, Kreativität, Leistungsbereitschaft und Lebenslust.“

 

Franz Rüdisser, aus der amtliche Mitteilung der Marktgemeinde Schruns –Nr.2/Juni/14